Unser Kollege Gubitz hatte wieder einmal Fragen zum beruflichen Selbstverständnis der Strafverteidigung zu beantworten. Diesmal anlässlich eines Falles, in dem nicht wir verteidigen. Es ging um die Tötung einer Frau durch ihren Ehemann in Büchen, in den Medien als „Femizid“ (öffnet in neuem Tab) betitelt.
Hier die vollständigen Fragen und Antworten, die gekürzt auch im Artikel (öffnet in neuem Tab) erschienen sind:
1) Wie gehen Sie persönlich damit um, wenn Sie einen mutmaßlichen Täter eines Femizids verteidigen?
Der Ausgangspunkt der Verteidigung in einem solchen Verfahren unterscheidet sich erst einmal nicht von dem in anderen Verfahren: Wenn an der Täterschaft kein Zweifel besteht und der Mandant gestehen möchte, geht es ja immer noch darum, in einem fairen Prozess ein gerechtes Strafmaß zu finden. Dann ist es die Aufgabe der Verteidigung, dafür Sorge zu tragen, dass alle hierfür wesentliche Aspekte im Prozess zur Sprache kommen. Solche Strafzumessungstatsachen wären etwa der Tatanlass, die psychische und physische Verfassung des Täters, die Auswirkungen der Tat auf ihn selbst und viele mögliche weitere mehr. Wie in vielen anderen Berufen werden also etwaige persönliche Befindlichkeiten, wenn sie denn überhaupt da sind, durch die anspruchsvolle Aufgabe, die es zu erfüllen gilt, überlagert. Das ist ja in vielen anderen Berufen, die mit menschlichem Leid oder Abgründen, Krankheit oder Tod verbunden sind, auch nicht anders. Es ist also keine Frage des persönlichen Umgangs, sondern, wenn Sie so wollen, Handwerk.
Das Gleiche gilt übrigens auch, wenn kein Geständnis abgelegt werden soll. Erst recht stellt sich in diesen Fällen, die Frage nach dem Handwerk der Verteidigung. Es sind die von den Ermittlungsbehörden zusammengetragenen Beweismittel in einer Hauptverhandlung zu überprüfen, etwa durch fachgerechte Befragung von Zeugen und/oder Stellung geeigneter Beweisanträge. Für Befindlichkeiten bleibt da wenig Raum.
2) Welche Herausforderungen gibt es bei der Verteidigung in solchen emotional aufgeladenen Verfahren?
Das hängt sehr vom Agieren der anderen Prozessbeteiligten und deren Professionalität ab. Nicht selten missverstehen Opfervertreter ihre Rolle und glauben, die Schilderung von besonders dramatischen Tatfolgen für das Opfer oder die Hinterbliebenen hätte auch Relevanz für die Frage, ob überhaupt der Tatnachweis gelingt. Dazu gehört auch, dass auch von Seiten der Öffentlichkeit natürlich bei verabscheuungswürdigen Verbrechen der Ruf nach Vergeltung, Präsentation eines Schuldigen und harter Strafe besonders laut wird. Der Strafprozess ist aber nicht dazu da, Racheinstinkte zu befriedigen. sondern soll erstens die Schuldfrage, also: hat er‘s getan? ( – und übrigens auch: was genau hat er eigentlich getan?, also welchen Tatbestand verwirklicht das, also bspw. Mord, Totschlag, fahrlässige Tötung oder Körperverletzung mit Todesfolge), beantworten. Erst wenn ein Tatnachweis da ist, kommt es zur Frage nach dem gerechten Strafmaß. Das hängt dann wiederum vom verwirklichten Tatbestand und dessen Strafrahmen und den individuellen Gegebenheiten des einzelnen Falles ab. Die Verteidigung hat dafür zu Sorgen, dass in dieser Gemengelage bei emotional aufgeladenen Verfahren die Rechte des Beschuldigten gewahrt bleiben.
3) Wie gehen Sie mit medialem Druck und öffentlicher Meinung in solchen Verfahren um?
Die Akte wird von den Ermittlungsbehörden mit gegenüber der Verteidigung weit überlegener personellen, finanziellen und zeitlicher Ausstattung zusammengestellt – zu einigen Beweismitteln hat die Verteidigung bis zum Prozess überhaupt keinen Zugang. Die Anklage zeichnet ein einseitiges Bild. Dem kann die Verteidigung Zweifel oder auch ein alternatives Narrativ entgegensetzen. Hierfür gibt es prozessual, aber auch medial Möglichkeiten, mit denen zumindest den Versuch unternommen werden kann, in geeigneten Fällen einer Vorverurteilung entgegenzuwirken. Zu nennen sind beispielsweise das sogenannte Opening statement der Verteidigung, dass der Anklage im unmittelbaren Anschluss an deren Verlesung entgegen gesetzt werden kann oder sachliche und gut begründete Medieninformationen.
4) In der Öffentlichkeit heißt es oft: „Wie kann man so jemanden überhaupt verteidigen?“ Was antworten Sie darauf?
Naja, in einer Demokratie sollte sich herumgesprochen haben, dass auch der Schuldige einen fairen Prozess und nur die angemessene Strafe (und eben nicht mehr) verdient. Für die Erreichung dieser Ziele leistet die Verteidigung einen wesentlichen Beitrag.
5) Wie oft werden in solchen Fällen klassische Strafmilderungsgründe wie „Affekttat“ oder „Eifersucht“ angeführt?
Es gibt keine mir bekannten empirischen Untersuchungen zu den Argumenten, mit denen versucht wird, Strafmilderungsgründe geltend zu machen. Übrigens wäre „Eifersucht“ gerade nicht ein solcher, sondern kann aus einem Totschlag mit einer Höchststrafe von 15 Jahren einen Mord mit einer zwingend lebenslangen Strafe machen.
6) Was unterscheidet diese Verfahren von anderen Tötungsdelikten, juristisch wie atmosphärisch?
Vielleicht bei der Klärung des Schuldnachweises gar nicht einmal so viel. Aber bei der Bewertung der Umstände, die zur Tat geführt haben, ist schon besonderes forensische, psychiatrische und psychologische Expertise gefragt. Nicht selten liegen hier Strafmilderungsgründe und für die Verteidigung negative Aspekte gerade bei Affekttaten nah beieinander.
7) Gab es einen Fall, der Sie persönlich besonders beschäftigt oder betroffen gemacht hat?
Wir hatten in jüngerer Vergangenheit zwei Fälle, in denen Frauen ihre Peiniger, die sie über Jahre hinweg in einer toxischen Beziehung, gequält, erniedrigt, vergewaltigt und körperlich verletzt haben, getötet haben. In beiden Fällen ist es zunächst zur Anklage gegen die Frauen gekommen. Im ersten hat dann das Gericht die Anklage nicht zugelassen, im zweiten steht diese Entscheidung noch aus.
8) Sollte es aus juristischer Sicht eine eigene Strafnorm für Femizide geben?
Nein. Die Tötung eines Menschen ist mit den vorhandenen Normen hinreichend verfolgbar. Es wäre auch mit dem Grundgesetz für kaum vereinbar, die Tötung einer Frau für schwerwiegender zu halten als die eines Mannes. Es wäre viel gewonnen, würde nicht auf jeden gesellschaftlichen Missstand reflexartig mit dem Ruf nach höheren Strafen reagiert. Nicht selten tun dies dieselben Politiker, die auf der anderen Seite Frauenhäusern die Gelder kürzen. Härtere Strafen halten keinen Affekttäter von seiner Tat ab, wirksame Prävention durch das soziale Umfeld, beispielsweise aufmerksame Nachbarn, Freunde, Verwandte und eine umfassende auch staatliche Unterstützung für gefährdete Frauen dagegen schon.
9) Was wünschen Sie sich von der gesellschaftlichen Debatte über Femizide – auch mit Blick auf die Rolle der Strafverteidigung?
Dass der Blick auf das Wesentliche gerichtet wird. Schon vor über 100 Jahren hat Franz von Liszt, ein sehr berühmter Strafrechtslehrer und Kriminologe seiner Zeit gesagt: Die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik. Aber die ist mit einer guten Ausstattung von Kindertagesstätten, Kindergärten, Grund- und weiterführenden Schulen und entsprechender Betreuung teurer als einfach nur hier und da mal ein Strafmaß zu erhöhen.
